Unterstützen
Gerechte Landwirtschaft, Ernährungssouveränität und Waldnutzung

Verpflichtung zum Rückbau von Tierproduktion

Was ist das Problem?

70% der deutschen landwirtschaftlichen Produktion entfällt auf den Tierproduktionsektor. Dabei werden über 50% der inländischen landwirtschaftlichen Fläche als Futterfläche beansprucht und zusätzlich werden noch 1/3 der verwendeten Futterproteine importiert (alle Angaben in Getreideeinheiten für 2013 entsprechend BMEL[1]).

Entsprechend hoch sind daher auch die Emissionen der Tierproduktion: Im Jahr 2010 waren es 88 Millionen Tonnen CO2e, was 9% zu den deutschen → Treibhausgasemissionen beitrug (GLEAM/FAO[2]), mit steigender Tendenz.

Die Hauptursache dieser Emissionen liegt in dem hohen Flächenverbrauch der tierischer Produkte: Zur Produktion von 1 Kalorie tierischer Nahrung wird 2-30 mal mehr Fläche benötigt als für die selbe Menge pflanzlicher Nahrung (Getreide: 1qm/1Mkal, Rindfleisch: 31,2 qm/1Mkal [3]).

Weitere Probleme der Tierproduktion beinhalten Wasserökologie, katastrophale Arbeitsbedingungen in Mast- und Verarbeitungsbetrieben und unfassbare Grausamkeit gegen die zur Ware degradierten Nutztiere. Der zunehmende Import von Futterprotein nach Deutschland ist unmittelbar mitverantwortlich für Tropenwaldverlust in Südamerika und Asien sowie für Landgrabbing und die resultierende Vertreibung lokaler Bevölkerungsgruppen.

Die Tierproduktion ist unabhängig von der Betriebsgröße in der Regel hochtechnisiert und mit langfristigen → Investitionen und Kreditaufnahmen verbunden. Der Rückbau von Tierproduktion kann nur sozial gerecht sein, wenn es langfristige Planungssicherheit gibt und Landwirt*innen frühzeitig erkennen können, dass sich Neuinvestitionen in diesen Sektor nicht lohnen.

Was ist die Maßnahme?

Die Bundesrepublik verpflichtet sich zu einer schrittweisen Reduktion der deutschen Tierbestände mit dem Ziel des weitgehenden Verzichts.

Regional begrenzt können bestimmte Formen der Tierhaltung klimaschützende Wirkung haben oder aus anderen Gründen (Landschaftschutz) unverzichtbar sein. Darauf sollte Rücksicht genommen werden. Mengenmäßig sollten diese Fälle kaum ins Gewicht fallen.

Wie kann die Umsetzung aussehen?

Es werden 5-jährliche Zielmarken für Tierbestände und Emissionen bis mindestens 2050 verbindlich festgelegt.

Parallel wird an einem Ausstiegsplan gearbeitet, um die Selbstverpflichtung auch tatsächlich umsetzen zu können. Mögliche Maßnahmen, die zum Rückbau der Tierproduktion beitragen, finden sich hier:

Wie wird damit dem Klimawandel entgegen gewirkt?

Durch den vollständigen Rückbau der Tierproduktion in Deutschland würden direkt Emissionen von knapp 90 Millionen Tonnen CO2e vermieden (s.o.). Allerdings müssen entsprechend mehr pflanzliche Nahrungsmittel produziert werden. Unter der Annahme, dass pflanzliches Protein im Vergleich zu tierischem Protein 1/4 der Emissionen verursacht (dies ist angesichts der sehr breitgestreuten Emissionen eine grobe Schätzung) [4], würden durch die Produktion zusätzlicher pflanzlicher Nahrung Emissionen im Umfang von 22 Millionen Tonnen CO2e  entstehen, so dass der Netto-Einspareffekt jährlich 67 Millionen Tonnen CO2e betragen würde.

Welche anderen Effekte hat die Maßnahme?

Unnötiges Tierleid wird vermieden und ein gesellschaftlicher ethischer Konflikt entschärft.

Ein Rückbau der Tierproduktion kommt auch den Arbeiter*innen in den Mast- und Schlachtbetriben zu Gute, die unter massiver Ausbeutung leiden. Auch wenn die Arbeiter*innen vernünftige Arbeitszeiten und einen fairen Lohn bekommen würden – wovon sie trotz sich immer wiederholenden Versprechungen meilenweit entfernt sind – stellt das Einfangen, Treiben, Töten und Zerlegen von Tieren eine unzumutbare und psychisch enorm belastende Arbeit dar.

Postive Effekte hat der Rückbau der Tierproduktion auch auf Regionen mit einer hohen Tierdichte. Diese überschreiten gegenwärtig besonders häufig die Nitrat-Grenzwerte für Trinkwasser, was Krebs verursachen kann. (Süddeutsche Zeitung: "Was sie über Massentierhaltung wissen sollten")[5]

Auch ergeben sich positive Effekte auf die Artenvielfalt, da das gegenwärtige System der Zerstörung von vielfältigen Lebensräumen und des enormen Perstizideinsatz für den Futtermittelanbau einen großen Anteil am weltweiten Artensterben hat.

Nicht zuletzt findet in der Tierproduktion ein beachtlicher Antibiotikamissbrauch statt, der für sie von zentraler Bedeutung ist. Der Rückbau der Tierproduktion wird diesen effektiv verhindern können. Die Tiere werden systematisch mit Antibiotika behandelt, damit sie ihr kurzes Dasein auf viel zu engem Raum mit schlechtem und einseitigem Futter überleben können. Bei Hühnern und Puten wäre eine Einzelbehandlung in der Regel zu aufwendig, weshalb sie routinemäßig über das Trinkwasser mit Antibiotika behandelt werden. Der hohe und systematische Einsatz von Antiobiotika führt zur Bildung von antibiotikaresistenten Keimen, die sich bei der Verarbeitung von Fleisch, aber auch über die Luft auf Menschen, die sich in Mastanlagen oder Tiertransporten oder in deren Nähe aufhalten, übertragen können. Laut Robert Koch Institut sterben in Deutschland jährlich 10.000 bis zu 20.000 Menschen an nosokomialen Infektionen. Eine der Ursachen hierfür ist der Einsatz von Antibiotika bei landwirtschaftlichen Nutztieren. (FAQ des Robert Koch Instituts zu Krankenhausinfektionen und Antibiotikaresistenz)[6]

Wie schnell kann die Maßnahme umgesetzt werden?

Mit dem Rückbau der Tierproduktion kann sofort begonnen werden, jedoch ist ein Ausstiegsplan sinnvoll, welcher die schädlichsten Bereiche zuerst rückbaut und auf die Interessen der Arbeiter*innen in der Tierindustrie sowie kleiner bäuerlicher Betriebe Rücksicht nimmt. Der rasche Stopp von Futtermittelimporten sollte Priorität haben.

Eine effektive Umsetzung setzt grundlegende Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen und Kräfteverhältnisse voraus. Nahrungsmittel sind ein Grundbedürfnis und ihre Distribution und Preisgestaltung wäre optimalerweise von Marktgesetzen entkoppelt, ähnlich wie Bildung und Gesundheitsversorgung es sind. Die Demokratisierung der Landwirtschaft im Sinne von → Ernährungssouveränität legt die Entprivatisierung der Agrarkonzerne nahe. Durch die Einführung basisdemokratischer Räte aus Bäuer*innen, Ernährungsarbeiter*innen und → Konsument*innen würde die demokratische Planung und Steuerung einer umfassenden Agrarwende möglich werden (→ Basisdemokratie).

Zu möglichen Sofortmaßnahmen innerhalb der gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen zählen Baustopps, Verschärfung von Einfuhrquoten für Futtermittel und Gülle sowie von Ausführquoten von Tierprodukten, und Umstrukturierungen von → Subventionen. Ein Stopp aller Gülle-Importe erscheint bis 2021 umsetzbar, hinsichtlich Futtermittel erscheint ein Verbot von Importen bis 2025 und eine jährlich sinkende Flächenquoten für Futtermittelanbau in Deutschland mit einer Begrenzung auf max. 15% der Ackerflächen bis 2050 umsetzbar. Begleitet werden müssten diese Maßnahmen mit Strukturwandelprogrammen für bislang von Tierindustrie dominierten Regionen.

Wie lang dauert es, bis die Maßnahme Wirkung zeigt?

Die Maßnahme zeigt sofort Wirkung. Ein sofortiges Ende der Expansion der Tierproduktion sowie das Verbot von Futtermittelimporten reduziert unmittelbar Rodungen von Regenwäldern für den Anbau von Futtermitteln. Eine Reduktion der Tierproduktion, insbesondere der Rinderhaltung, wird den → Methanausstoß von Wiederkäuern und der Gülle direkt eindämmen. Die Wiederbewaldung von Flächen und die Wiedervernässung von Mooren ist hingegen ein langwieriger Prozess, der teilweise erst nach Jahrzehnten eine relevante Menge an Treibhausgasen binden wird.

Bezüge zu anderen Maßnahmen

Tierproduktion ist ein zentraler Bestandteil der heutigen Landwirtschaft, sowohl in Deutschland als auch global. Damit ergeben sich zu den meisten Maßnahmen im Kontext Landwirtschaft Bezüge. Beispielsweise werden große Teile von trockengelegten Moorböden zum Futtermittelanbau und der Weidehaltung genutzt, wodurch die Maßnahme Schutz und Wiedervernässung von Moorböden auf die hier beschriebene Maßnahme aufbaut.

Probleme sozialer, globaler oder Generationengerechtigkeit

Der Verzehr von Tierprodukten hat einen hohen Stellenwert in der Kultur einiger menschlicher Gesellschaften, die Reduktion und der Verzicht kann als Einschränkung individueller Freiheit erlebt werden. Daher muss die Transformation mit Aufklärungs- und Bildungsmaßnahmen einhergehen. Die Bereitstellung guter und bezahlbarer Alternativen ist unabdingbar. So ist die Haltung von Tieren auch Teil des traditionellen Berufsbilds von Bäuer*innen. Nicht wenige identifizieren sich mit ihr. Hier ist ein hohes Maß an Sensibilität und Dialogbereitschaft gefragt. Attraktive Alternativen, die auf Mitbestimmung, der Förderung des ländlichen Raums und einer Existenzsicherung setzen, sind gefragt.

Manche Regionen und Kommunen sind auf die Einnahmen und die Arbeitsplätze aus der Tierproduktion angewiesen. Sie dürfen mit dem Ausstieg nicht alleingelassen werden und es bedarf eines solidarischen Strukturwandelprogramms, welches basisdemokratisch und unter großer Berücksichtigung der Betroffenen geplant und umgesetzt wird (→ Basisdemokratie). In den Schlacht- und Zerlegebetrieben arbeiten zu großen Teilen migrantische Arbeiter*innen. Selbstverständlich dürfen auch sie nicht alleingelassen werden. Für die harte Arbeit, die sie unter miesesten Bedingungen viele Jahre tätigen mussten, werden sie entschädigt. Sie bekommen ein bedingungsloses Bleiberecht und bekommen selbstverständlich die Möglichkeit, sich an der Planung und der Durchführung der Strukturwandel Programme zu beteiligen.

Weiterführende Literatur, Quellen

  1. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (2015) https://www.bmel-statistik.de/fileadmin/SITE_MASTER/content/Jahrbuch/Agrarstatistisches-Jahrbuch-2015.pdf
  2. Food and Agriculture Organization of the United Nations: Modellauswertung für Deutschland mit Standard-Parametern vom 25.10.2019 http://www.fao.org/gleam/en/
  3. Schlatzer (2011): Tierproduktion und Klimawandel. Ein wissenschaftlicher Diskurs zum Einfluss der Ernährung auf Umwelt und Klima, Münster: ,
  4. Nijdam, Rood, Westhoek (2012): Nijdam, D., Rood, T., & Westhoek, H. (2012). The price of protein: Review of land use and carbon footprints from life cycle assessments of animal food products and their substitutes. Food policy, 37(6). 760-770
  5. Süddeutsche Zeitung: Umweltprobleme und Forderungen von Tierschützern (2014, abgerufen am 19.02.2020) https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fleischproduktion-in-deutschland-was-sie-ueber-massentierhaltung-wissen-sollten-1.1899021-3
  6. Robert Koch Institut: Antworten auf häufig gestellte Fragen zu Krankenhausinfektionen und Antibiotikaresistenz (2019, abgerufen am 19.02.2020) https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Krankenhausinfektionen-und-Antibiotikaresistenz/FAQ_Liste.html
  7. Hirschfeld, Weiß, Preidl, Korbun (2008): Klimawirkungen der Landwirtschaft in Deutschland, Berlin: IÖW,
  8. Deutscher Bundestag (2007): Antwortder Bundesregierungauf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, CorneliaBehm, Ulrike Höfken und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Landwirtschaft und Klimaschutz, : , – Drucksache 16/4930 – https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/053/1605346.pdf

Diese Maßnahme steht unter der Lizenz „CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication“