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Gerechte Landwirtschaft, Ernährungssouveränität und Waldnutzung

Gesundende Landschaften durch artenreiche Mähwiesen

Was ist das Problem?

In den Klima- und → Biodiversitäts-Diskussionen wird viel über den Wald und das Ackerland geredet. Dabei bekommt der Wald meist eine positive Note, das Ackerland meist eine negative. Was oft übersehen wird ist, dass es ja auch noch das Dauer-Grasland gibt, also die landwirtschaftlichen Wiesen und Weiden sowie die Magerrasen, die früher auch Teil der Landwirtschaft waren. Das Grasland – und in diesem Beitrag wird es zunächst ausschließlich um das mitteleuropäische Grasland gehen – hat hinsichtlich des Klimaschutzes und hinsichtlich der → Biodiversität eine sehr hohe und bisher völlig unterschätzte Bedeutung. Das liegt unter anderem auch daran, dass Baum und Wald zumindest in Deutschland grundsätzlich emotional positiv besetzt sind und man glaubt, Bäume pflanzen ist immer und für alles gut. Wenn ein Baum gefällt wird, gibt es einen großen Aufschrei in der Bevölkerung, wenn aber eine blumen- und kräuterreiche Wiese in Acker umgebrochen wird, dann kümmert das niemanden. Dabei ist die größte Vielfalt an Pflanzen-, Insekten- und Vogelarten in Mitteleuropa gar nicht an den Wald gebunden, sondern an die offene Kulturlandschaft mit ihren blumenreichen Wiesen und Weiden, Magerrasen und Feuchtwiesen, Äckern und Ackerrainen, Wegrändern, Teichen, Gräben, Säumen usw. Und das artenreiche Grasland speichert durch den Humusaufbau im Boden sehr viel Kohlenstoff und hat als wintergrüne Vegetation gegenüber dem Wald sogar noch den Vorteil, dass es auch im Winterhalbjahr CO2 bindet, wenn der Wald völlig inaktiv ist.

Das dauergrüne artenreiche Grasland – Wiesen, Weiden, Magerrasen – hat hinsichtlich des Klimaschutzes und hinsichtlich der → Biodiversität eine sehr hohe und bisher völlig unterschätzte Bedeutung. Es muss viel mehr in den Fokus gerückt werden.

Was ist die Maßnahme?

Wichtigste Maßnahme ist eine Bildungsarbeit, die für Mitteleuropa die Bedeutung der artenreichen Wiesen und Weiden zumindest auf den gleichen Stellenwert hebt wie den Wald. Praktische Maßnahme ist es, an so vielen Stellen wie möglich artenreiche Wiesen und Weiden zu optimieren oder neu zu etablieren, mit den Zielen [1] gesundes Grundfutter für die Tiere der Landwirtschaft zu gewinnen, [2] die Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten einer Region zu steigern und einen ganz wesentlichen Beitrag zur Kohlenstoffsenke zu leisten.

Wie kann die Umsetzung aussehen?

Die Umsetzung geht nur zusammen mit der Landwirtschaft bzw. kleinflächiger auch mit dem Gartenbau. Landwirt*innen und Gärtner*innen müssen die artenreichen Wiesen und Weiden neu wertschätzen lernen (siehe oben erwähnte Bildungsarbeit), und zwar in erster Linie aus landwirtschaftlichen Gründen wie der Tiergesundheit, des Humusaufbaues, der biologischen Schädlingsbekämpfung, der Bestäuberleistung von Wildbienen usw. Sie müssen dann beraten werden z.B. durch ausgebildete „Landwirtschaftliche Pflanzensoziolog*innen“.

Wie wird damit dem Klimawandel entgegen gewirkt?

Waldentwicklung und Bäume pflanzen sind in Zeiten des Klimawandels hoch angesehen und man könnte aus Gründen des Klimaschutzes dem Wald oberste Priorität einräumen. Das ist jedoch fragwürdig, wie Idel & Beste (2018)[1] zeigen: Weltweit wird in Graslandböden viel mehr Kohlenstoff gespeichert als in Waldböden. Dies kann dadurch geschehen, dass die Wurzelmasse in Dauer-Grasgesellschaften (Wiesen und Weiden) bis zu 20mal größer ist als die Sprossmasse; bei Wäldern ist es umgekehrt, da ist die Wurzelmasse durchschnittlich nur halb so groß wie der oberirdische Teil. Dazu kommt in Mitteleuropa, dass hier die → Vegetationsperiode der immergrünen Grasländer deutlich länger ist als die der Wälder, weil die Gräser schon bei sehr niedrigen Temperaturen mit dem Wachstum beginnen – somit steht für die Bildung organischer Substanz ein längerer Zeitraum zur Verfügung. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass zumindest für mitteleuropäische Verhältnisse der Fokus beim Klimaschutz viel mehr auf das Grasland und eben nicht auf den Wald gerichtet werden muss [2].

Welche anderen Effekte hat die Maßnahme?

Neben dem Klimaschutz hat die Entwicklung von artenreichen Wiesen und Weiden die größte Bedeutung für die mitteleuropäische Artenvielfalt (→ Biodiversität). Denn der größte Teil der Flora Deutschlands ist zum Beispiel an → extensive Wiesen, Weiden und Magerrasen gebunden. Ähnliches gilt auch für die Insekten- und Vogelwelt [3]. Wiesen und Weiden und selbst die Magerrasen haben durch ihren gesunden Aufwuchs aus Gräsern und Kräutern eine hochgradig diätetische Wirkung auf das Vieh und damit eine positive Wirkung auf die landwirtschaftliche Produktqualität. Die besonders artenreichen Wiesen galten früher sogar als die „Stallapotheke“. Artenreiches Grasland hat durch die enorme Blütenfülle eine besonders hohe ästhetische Attraktivität; dazu kommt das Summen und Brummen der Insekten und das Zirpen der Grillen. Auch die Singvögel, die wiederum von den Insekten leben, bereichern mit ihrem Gesang die Erlebnisqualität der → extensiven Mähwiesen. Die sind die „Wiesen der Kindheit“, die ein besonders intensives Heimatgefühl und eine Geborgenheit vermitteln. Bäuerliche Mischbetriebe mit artenreichem Grünland und Ackerland haben auch positive soziale Effekte, indem sich Menschen aus dem Hofumfeld, dem Kundenkreis oder sonstigen Gruppen (Schulen, Kindergärten) gerne mit solch einem blühenden Hof verbinden und hier auch mithelfen wollen. So kann die Idee der solidarischen Landwirtschaft auch auf die Biotoppflege erweitert werden.

Wie schnell kann die Maßnahme umgesetzt werden?

Mit der Bildungsarbeit und der Etablierung von artenreichem Grasland kann sofort begonnen werden. Die begleitende Ausbildung von „Landwirtschaftlichen Pflanzensoziolog*innen“ als Projektberater*innen wird ein paar Jahre dauern.

Wie lang dauert es, bis die Maßnahme Wirkung zeigt?

Die Biodiversität fördernden, ästhetischen und landwirtschaftlichen Wirkungen setzen sofort ein – im Jahr nach der Maßnahme. Die klimarelevanten Wirkungen sind langfristiger angelegt.

Weiterführende Literatur, Quellen

  1. Idel, Beste (2018): Vom Mythos der klimasmarten Landwirtschaft – oder warum weniger vom Schlechten nicht so gut ist, 2. Auflage. Wiesbaden: Hrsg. Häusling, MdEP, Europabüro Hessen, p 76
  2. Temperton, Buchmann, Buisson, Durigan, Kazmierczak, Perring, de Sá Dechoum, Veldman, Overbeck (2019): Step back from the forest and step us to the Bonn Challenge: How a broad ecological perspective can promote successful landscape restoration, : Restoration Ecology 27(4), p 705-719
  3. Kunz (2017): Artenschutz durch Habitatmanagement. Der Mythos von der unberührten Natur, Weinheim: Wiley-Vch, p 292
  4. Vahle (2015): Gesundende Landschaften durch artenreiche Mähwiesen, Witten: Broschüre im Selbstverlag, p 76 http://www.vegetationskun.de/

Diese Maßnahme steht unter der Lizenz „CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication“